fokusmensch bietet Veranstaltungen aus den Bereichen Kunst, Kultur, Persönlichkeitsbildung, Kommunikation und Bewegung für Menschen von 0 - 99.
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Manfred Kowatschek
1958 in Wien geboren und ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. Als „Rundumwienmensch“ lebt er in Pellendorf bei Schwechat, in Wolfsgraben unweit von Purkersdorf und in der Stadt Baden. Beruflich ist er seit 21 Jahren als Abfall- und Umweltberater im Bezirk Baden tätig. In den letzten Jahren widmet er sich verstärkt dem Fotografieren und dem Schreiben. Im April 2010 schloss er den Lehrgang „Wiener Schreibpädagogik“ ab.
Der Himmelschlüssel
Gemäß traditioneller Maria Zeller Medizin – die auf die 50er und 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgehen soll – ermöglicht ein ganz spezieller Himmelschlüssel den direkten Weg zum Glück. Weder Mäusesalbe, noch Apothekenwässerchen, fernöstlich vermahlenes Nashorn oder ein sonstiges Mittel reicht nur annährend an die Wirkung dieses Werkzeugs des Himmels heran. Nicht, dass da jemand daherkommt und sagt, dass sie oder er Himmelschlüssel pflücken kann, sobald diese auf öffentlichen Grund oder im eigenen Garten blühen. Nein. Der hier gemeinte Himmelschlüssel ist ein Herz aus getrockneten, gemahlenen Pflanzenwurzeln, vermengt mit Wasser, bergkristallinem Sand und anderen, geheimen Ingredienzen aus der traditionellen Maria Zeller Medizin. Diese Zutaten werden in stundenlanger Handarbeit zu einer wunderbaren, herzergreifenden kleinen Skulptur geformt. Diese muss man dann lediglich in die Nähe des begehrten Menschen stellen und schon ist es um diesen geschehen.
Ich möchte schon anmerken, dass dies lediglich meine Meinung ist und da nichts hineininterpretiert werden darf. Na gut, ein wenig Expertise ist sie schon, denn ich bin als Mensch fünfundfünfzig Jahre alt geworden. So gesehen bin ich Lebensexperte und meine hier dargelegte Darstellung soll jeder so nehmen, wie er oder sie es möchte.
Als Zeugin dafür kann ich Mariam Martini anführen. Mit ihr bewies ich, was zu beweisen anstand. Sie lag mir zu Füßen, nachdem ich den Himmelschlüssel in der Polsterung der Eckbank ihrer Einbauküche versteckt hatte. Ich muss allerdings auch von der Wirkung dieser göttlichen Miniatur warnen. Denn sie muss stets entfernbar bleiben, sonst geschieht jenes, das mir widerfuhr, als mein Himmelschlüssel derart in der Polsterung der mariamischen Küchenbank verschwand, dass ich ihn dort nicht mehr rausholen konnte.
Die Wirkung war nachhaltig. Kurz nach Beginn meines Feldversuchs hieß ich Martini, saugte Staub, setzte mich am Klo, putzte Fenster, wusch den Boden auf und kochte. Mariam legte Wert auf eine gepflegte Wohnung und körperliche Nähe. Für Sauberkeit sorgte ich untertags und abends tanzen wir Standard obwohl Tango, Walzer und Co nie meins gewesen waren. Fußball hingegen schaue ich nur noch heimlich und den herben Geschmack von Bier habe ich längst vergessen.
Die Wallfahrt
Und Hecht sagte „Au!“
Ein Wort als Reaktion auf das durch den seitlichen Auftritt auf einen scharfkantigen Stein gefolgte Wegkippen seines Fußes vom Bein. Hecht sackte zusammen und setzte sich seitlich auf den Waldboden.
Und Helene sagte: „Jetzt geh schon weiter, ich will Weihnachten daheim verbringen.“
„Das tut weh. Und Weihnachten ist sowieso erst in sechs Monaten“
„Geh bitte!“
„Eh klar. Madam spürt nichts. Wie immer!“
„Von dir, mein Lieber. Nur von dir spüre ich nichts. Und jetzt geh weiter.“
„Geh doch allein weiter. Ich komme schon zurecht und dann nach.“
„Das würde dir so passen. Auf und weiter!“
„Glaubst du wirklich, dass ich hier bleibe und ohne Essen verdurste“
„Ohne trinken, meist du wohl?“
„Nein. Ich meine, wie ich es sage. Ich habe nichts zu essen und bevor ich verhungere, verdurste ich. Das geht schneller.“
„Hör auf zu raunzen! Steh auf und geh!“
„Das steht schon in der Bibel. Und daran glaub ich wirklich nicht.“
„Na dann Tschüss.“
Helene wandte sich von Hecht ab und ging mit großen Schritten weiter Richtung Süden. Hecht massierte sich den beleidigten Knöchel, stand auf und folgte ihr.
„Nun wart schon, du Kuh“, sagte er halblaut.
„Glaub ja nicht, dass ich das nicht gehört habe.“
„Na klar hast es gehört. Das war auch meine Absicht. Ich will eben meine Ruh.“
„Die kannst du bald haben, du Hump. Geh jetzt weiter.“
Sie ging weiter. Hecht folgte ihr. Sein Knöchel schmerzte weit weniger, als er befürchtet hatte. Die Frühnachmittagssonne schien ihnen ins Gesicht. Beide schwitzten. Nun ging es steiler aufwärts und Hecht dachte an die Worte seines Vaters, der immer beim Wandern sagte: „Bergauf große Schritte. Bergab, kleine Schritte.“
Hecht hatte sich nie an das gehalten, was sein Vater gesagt hatte. Außer beim Wandern. Er machte große Schritte und folgte damit jener Frau, die er sich niemals eingetreten hätte, wenn er auch außerhalb der Wanderschaft auf seinen Vater gehört hätte. Helene war gut einen Kopf größer als er und auch sonst sehr dominant.
Warum wusste Hecht nicht, aber er dachte an Sex. Ausgerechnet jetzt. Und das am Pilgerweg. Aber seine Gedanken hatte er sich ohnehin niemals aussuchen können. Sie kamen, wann sie kommen wollten. Meist noch dazu gänzlich unpassend. Äußerst selten situationsbezogen. Und mit was die da oft daherkamen. Mal war es Bier. Dann Wein. Mal Schweinsstelze. Mal Palatschinken. Und jetzt sickerten sie - wie eine Ringelnatter bei nur fünf Grad kriecht - langsam und träge als Wollust in sein Gehirn. Er sah nach vorne, genau auf den Hüftschwung seiner Begleiterin. Und er verspürte Lust.
„Jetzt warte doch mal“, sagte Hecht.
„Was willst denn?“
„Ich mag mit dir reden.“
„Mit mir reden? Dann tu es doch.“
„Ja, aber ich mag dir dabei ins Gesicht sehen.“
„Was soll das wieder? Wir müssen vorankommen, sonst kommen wir nie hin. Und du weißt, ich war noch nie in Maria Zell. Und außerdem …“
„Na dann geh weiter“, unterbrach sie Hecht.
Was er nicht tun hätte sollen, denn Helene beschleunigte und Hecht verging jegliche Träumerei. Er hechelte der vor ihm gehenden Frau hinterher. Mal stolperte er, mal lief er, nur zurückbleiben wollte er nicht. Sie schwiegen. Helene, weil sie einem Ziel zustrebte. Hecht, weil ihm die Luft zum Reden fehlte. Als sie die Steigung hinter sich hatten, sahen sie hinunter auf die Stadt, die sich im Tal ausbreitete, wie der Neusiedlersee in der Pampa. Der See nicht tief, die Stadt nicht hoch. Abgesehen von der Basilika kaum ein höheres Gebäude. Ein Städtchen eben. Dorthin strebten sie seit nunmehr fünf Stunden.
„Endlich“, keuchte Hecht.
„Allein wäre ich schon lang da. Ich hoffe für dich, dass es noch nicht zu spät ist.“
„Aha, für mich hoffst du also. Und selbst? Schon zufrieden nur hier oben zu stehen?“
„Lass mich in Ruhe. Du wolltest ja hierher mitkommen und jetzt streiten wir mehr als jemals zuvor.“
„Ja. Ja. Komm nur mit, hast du gesagt und jetzt bist vorgerannt, als würde es um den letzten Schweinsbraten im Wirtshaus gehen.“
„Bitte geh du vor, ich gehe mit dir. Nicht, dass ich dich verliere oder du dich verdrückst.“
„Tschüss, hast du vorhin gesagt und jetzt hast du Angst, dass ich abhaue.“
„Geh schon vor und pass immer gut auf, wo du hin steigst, sonst liegst wieder.“
Hecht ging vor. Bergab mit kleinen Schritten. Das Ziel war für Helene klar. Hin zur Basilika. Zur Messe. Aber auch Hecht machte sich so seine Gedanken. Und diese kreisten jetzt um ein kühles Bier und einen heißen Schweinsbraten mit Kraut und Knödel. Jetzt war es Helene, die kaum nachkam.